Vortrag: Maurice Backschat, „NS-Zwangssterilisationen und -Krankenmorde in der Grafschaft Bentheim“
Wie funktionierte die Propaganda im Nationalsozialismus, welche Werkzeuge nutzten die Machthaber – und inwiefern lassen sich Parallelen zu heutigen Strategien der Meinungsmache in sozialen Netzwerken ziehen? Diesen Fragen widmet sich eine gemeinsame Film- und Vortragsreihe des Kreis- und Kommunalarchivs Grafschaft Bentheim und des Soziokulturellen Zentrums ska in Neuenhaus.
An vier Terminen steht die Aufklärung über die Verbreitung der nationalsozialistischen Ideologie von 1933 bis 1945 im Mittelpunkt. Ziel ist es, die Wirkmechanismen der NS-Propaganda zu entlarven, auch um Manipulation durch moderne Plattformen wie Instagram oder TikTok entgegentreten zu können. Die Initiative für dieses Projekt ging von dem Kulturausschussvorsitzenden der Stadt Neuenhaus, Norbert Voshaar, und Daniela De Ridder, langjährige Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Mittelems, aus.
Die Veranstaltungsreihe beginnt mit einem Vortrag des Grafschafter Historikers Maurice Backschat, der über das Thema Zwangssterilisation und Euthanasie in der Grafschaft Bentheim geforscht hat. Er präsentiert dabei auch seine neuesten Recherchen zum Thema „NS-Krankenmorde in der Grafschaft Bentheim“, womit dieses Thema in der Region erstmals beleuchtet wird. Backschats Vortrag ist ein Einstieg zum ersten gezeigten Film „Ich klage an“ (1941), der das Euthanasie-Programm des NS-Regimes – also die Behinderten- und Krankenmorde sowie die Zwangssterilisation – propagierte.
Außerdem gezeigt und analysiert werden die Filme „Jud Süß“ und „Kolberg“. „Jud Süß“ (1940) war ein zentraler antisemitischer Propagandafilm, der die menschenverachtende Ideologie des Nationalsozialismus entlarvt. „Kolberg“ (1944) spielte zwar zur Zeit der napoleonischen Kriege, appellierte jedoch an den Durchhaltewillen der Deutschen im Angesicht der drohenden Niederlage am Ende des Zweiten Weltkriegs.
Bei den Filmen handelt sich um sogenannte Vorbehaltsfilme, die nur mit einer entsprechenden fachlichen Begleitung durch die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung aufgeführt werden dürfen. Daher wird jeweils ein/e Referent/in der Stiftung aus Wiesbaden die Filme einordnen und analysieren.
Zum Hintergrund: Die Macht der Bilder – flächendeckende Verbreitung von Filmen über 5000 Kinos
Die Propaganda der Nationalsozialisten setzte auf die Macht der Bilder. Dazu wurde der Film als das modernste Massenmedium dieser Zeit genutzt. Kein anderer Kulturbereich wurde so stark gefördert und bis in die letzten Tage der Diktatur aufrechterhalten. Bereits unmittelbar nach der Machtübernahme 1933 hatte das Regime mit dem Zugriff auf die Filmwirtschaft begonnen. Mit der Anpassung des Reichslichtspielgesetzes 1934 wurde ein Zensurgesetz geschaffen, mit dem die Aufführung politisch unerwünschter Filme verhindert werden konnte. Die gesamte Filmwirtschaft von der Produktion über den Vertrieb bis hin zur Vorführung wurde nach und nach zu einem einheitlichen Propagandaapparat gleichgeschaltet.
Über allem stand der Propagandaminister Joseph Goebbels selbst. Er bestimmte Besetzungslisten, wählte Schauspieler*innen aus und schrieb den Regisseuren mitunter sogar ganze Dialoge ins Drehbuch. Dahinter steckte die Erkenntnis, dass sich eine Diktatur in der modernen Massen- und Industriegesellschaft nicht auf die Installation eines Machtzentrums in Berlin beschränken konnte. Gerade das flache Land und die mittleren und kleinen Städte wie in der Grafschaft Bentheim sollten mit der Filmpropaganda erreicht werden. Über ein System von rund 5000 Kinos im ganzen Reich konnten alle Produktionen flächendeckend verbreitet werden. Der Film wurde als geeignetes Propaganda-Medium angesehen, da über ihn vor allem Stimmungen und Gefühle erzeugt werden können. Durch die Propaganda-Filme sollte besonders die „Provinz“ abseits von Berlin emotional und ideologisch an das NS-Regime gebunden werden.